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February 22, 2024

Tl;dr

Impulskontrolle

Als Menschen haben wir eine evolutionäre Vergangenheit, die auf tierische Ursprünge verweist. Wir sind stark von unterbewussten Strömungen getrieben, werden subtil beeinflusst, ja teilweise davon sogar kontrolliert und dominiert. Am stärksten zeigt sich das im Kindesalter: Jeder Impuls löst unmittelbar eine Reaktion aus, die Kontrolle dieser Impulse lernt man erst durch das Erwachsenwerden.

Bei Erwachsenen, die einen starken Willen und Impulskontrolle besitzen, werden solche Impulse zwar Einfluss auf Entscheidungen haben, sie aber nicht unmittelbar auslösen oder bestimmen. Bei anderen geht es hin bis zum Kontrollverlust und Affekthandlungen: Diese Menschen sind ihren emotionalen Aufwallungen hilflos ausgeliefert. Das ist sogar gesellschaftlich akzeptiert: Psychologische Gutachten führen zu Strafminderung, wenn nachweisbar ist, dass jemand pathologisch schlechte Impulskontrolle hat.

Umgang mit Schwächen

Jetzt gibt es eine Verhaltensweise, die ich das “Kokettieren mit Schwächen” nenne. Hier ein paar Beispiele:

In all diesen Aussagen steckt eine Geschichte mit folgendem Aufbau:

Ich nenne dieses Verhalten “kokettieren”, weil es etwas von einem Flirt hat: Man macht der Schwäche schöne Augen, man will sie in gutem Licht darstellen, als wünschens- und begehrenswert darstellen, als könnten andere Menschen das auch wollen, aber man selbst sei diejenige Person, die es “geschafft” hat. Auch die Einordnung als normativ - ein rhetorisches “Kennst du das?” bedeutet im Kern: “Wir alle sind so.”, als wäre es eine Norm oder Konvention in der Gesellschaft. Teilweise stimmt das sogar.

Wir wollen gut aussehen

In all diesen Fällen geht es um eine Ausrede, eine Entschuldigung. Wir wollen vor uns selbst als gute, energievolle, pflichtbeflissene Menschen gelten, uns selbst in dem besten Licht sehen. Ein klassischer Fall von self-serving bias. Daher sind Verhaltensweisen, die diese Schwächen sichtbar machen, Schandflecken auf unserem inneren Selbstbild und damit auch auf dem Bild, das andere potenziell von uns haben. Und diese Flecken wollen wir mit unseren Aussagen verwischen, ausradieren, unsichtbar machen.

Aber darunter liegt noch mehr: Wenn wir etwas schaffen und stolz darauf sind (“Ich war am Wochenende einen Halbmarathon laufen”), geben wir gern damit an und präsentieren uns als willenstark (“Ich habe den Schweinehund überwunden und war laufen”). Wenn wir hingegen etwas schleifen lassen, dann schieben wir damit die Verantwortung von uns weg: Nicht ich war es, der den ganzen Tag auf der Couch gesessen und Serien geschaut hat, sondern der Schweinehund hat mich überrumpelt. Nicht ich habe die ganze Tafel Schokolade gegessen, sondern sie war einfach so lecker, dass ich keine Chance hatte, egal wie willensstark ich bin.

Verneinte Verantwortung

Menschen verneinen in solchen Situationen die Verantwortung für ihr eigenes Handeln. Uns ist bekannt, dass wir unsere Wünsche, Bedürfnisse und Triebe nur eingeschränkt beeinflussen können. Manches ist antrainiert (vor allem, wenn es sich um Suchtverhalten handelt), anderes Veranlagung (bspw. die sexuelle Orientierung, die man sich nicht aussucht). Was wir aber sehr wohl beeinflussen können, ist unser Umgang mit diesen Wünschen, Bedürfnissen und Trieben. Extrembeispiel: Ob ein pathologisch pädophiler Mensch gegenüber Kindern übergriffig wird, liegt in seiner Impulskontrolle.

Natürlich sind bei manchen Menschen die Impulse stärker und die Kontrolle niedriger veranlagt - da spielen viele Faktoren hinein, angefangen bei genetisch bedingten Hormonleveln im Gehirn bis hin zu frühkindlichen Erfahrungen und Traumata. Aber Impulskontrolle ist etwas, das man trainieren kann - wie ein geistiger Muskel, der mit der Nutzung stärker wird.

Achtsamkeit als Training

Hier schließt sich der Kreis zur Achtsamkeit, dem Wahrnehmen von Impulsen und dem Eingreifen in die darauf folgende Antwort. Zwischen Reiz und Reaktion besteht eine Beziehung, ein winziger Moment, in dem man innehalten und sich bewusst entscheiden kann, statt dem Autopiloten zu folgen. Das gilt im Kleinen, wie dem Griff nach dem nächsten Stück Schokolade, und im Großen, wie der Gewalthandlung im Affekt.

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